Bitte Aufhören!

Tagtäglich opfern sich die Zellen in unserem Körper, damit wir leben können und das milliardenfach. Ein absolut Sinnloses unterfangen, besonders wenn man sich einmal anschaut, für wen die Zellen das tun.

Der Ehrentod

Die Zellen in unserem Körper sind sehr gut organisiert und höchst effektiv. Es gibt keinen Platz für Ausreißer. Dessen ist sich jede einzelne Zelle bewusst.

Sie gehen auch äußerst stringent mit diesem Wissen um. Wenn eine Zelle merkt, dass sie nicht mehr den hohen Anforderungen des Körpers genügt, dann zögert sie nicht lange und beschließt, dass das Gehirn wahrscheinlich ohne sie besser funktionieren würde. Die Zelle schrumpft sich zu einer verdaubaren Größe zusammen und sagt der nächstgelegenen Makrophage Bescheid, dass sie jetzt gegessen werden kann.[1,2]1,2

Makrophagen sind Teil des Immunsystems und dafür verantwortlich fremde Viren und Bakterien zu vernichten. Sie vernichten aber auch körpereigene Zellen, wenn diese kaputt sind. Wenn eine Zelle dadurch stirbt, dass sie von einer selbst gerufenen Makrophage gegessen wird, dann nennt sich das Apoptose.[1,2]

Ein beeindruckender Mechanismus, nicht nur, weil es anscheinend ein bestimmtes biochemisches Signal gibt das „Iss mich bitte, und zwar so schnell wie möglich“ bedeutet [2]. Dieser Prozess passiert milliardenfach jeden Tag [1]. Seit ich heute Morgen die Augen aufgemacht habe, haben sich Milliarden von Zellen geopfert, damit ich den Tag überleben kann. Und morgen wird noch einmal das gleiche passieren. Und den Tag danach wieder. Nach einem Jahr werden sich so viele Zellen haben Essen lassen, dass man aus ihnen einen neuen Menschen bauen könnte.

Seit ich von diesen Vorgängen in meinem Körper erfahren habe, konnte ich nicht mehr aufhören daran zu denken. Während ich sonntags zwei Stunden einen Flummi gegen die Wand werfe und dann wieder auffange, haben sich über acht Milliarden Zellen für ungenügend befunden und sich essen lassen. Das ist mehr als es Menschen auf unserem Planeten gibt. Und das alles nur für mich und meinen Flummi.

Ich bin unvermeidlich an der Frage angelangt, ob ich dieses Ausmaß an Opferbereitschaft überhaupt wert bin. Ohne groß zu zögern, konnte ich diese Frage mit „Nein“ beantworten. Wenn bei uns auch Makrophagen rumlaufen würden, wäre ich wahrscheinlich schon vor längerer Zeit verspeist worden.

Ich fühle mich etwas schlecht, die Verantwortung für so viel Tod zu tragen. Aber so sehr ich es auch versuche, ich kann meine Zellen ja auch nicht davon abhalten sich für mich zu opfern.

Deshalb der folgende Text. Er ist dazu gedacht jede auch noch so patriotische Zelle in meinem Körper davon zu überzeugen, dass der Einsatz ihres Lebens absolut sinnlos ist. Meine Augen, die diesen Text lesen, bestehen ja auch aus Zellen, genauso tut es mein Gehirn, dass die Information des Textes verarbeitet. Zu guter Letzt sind meine Hände für das Schreiben des Textes verantwortlich.

Das ist zwar nicht mein ganzer Körper, aber immerhin etwas. Also, in den nächsten Zeilen folgen Momente aus meinem Leben in den letzten zwei Wochen, die wirklich jede Zelle über die Sinnlosigkeit ihres Tuns überzeugen sollte.

Vor zwei Wochen

Ich sitze mitten in der Nacht auf dem Lidl Parkplatz auf meiner Laptoptasche als Kissen. Der Lidl hat schon geschlossen, ich musste mich durch den abgesperrten Zaun zwängen, um mich hier hinzusetzen. Ich versuche gerade mich mit dem kostenfreien WLAN vom Lidl zu verbinden, um Filme herunterzuladen.

Obwohl ich nun schon seit über einem Monat eingezogen bin, habe ich es immer noch nicht geschafft mir WLAN zu holen. Mein Laptop verbindet sich nicht. Ich habe nun also ohne jeglichen Grund im dunkeln auf dem Lidl Parkplatz gesessen.

Vor einer Woche

Ich komme in meine Wohnung und merke mit einem Schock, dass die Wohnungstür offen ist. Ich habe wohl wieder vergessen sie bei rausgehen zu schließen. Kurz schaue ich mich panisch im Zimmer um, ob irgendetwas gestohlen wurde.

Dann fällt mir ein, dass ich ja neben meinem Laptop nichts besitze, was irgendwer stehlen wollte. Sowohl mein Wohnzimmertisch als auch mein Esstisch, meine Stühle, der Fernseher, der Sessel und der Teppich sind von eBay Kleinanzeigen. Der letzte Besitzer hat die Sachen als zu schlecht für sich selbst befunden, und sie günstig an mich weitergegeben. Einer meiner Stühle hat es nicht einmal bis auf eBay geschafft, ich habe ihn von der Straße aufgesammelt. Es ist auch kein Stuhl, es ist ein alter Wäschekorb, von dem ich eine Seite abgesägt habe.

Meine Wohnung ist also quasi eine hübsch eingerichtete Schrotthalde. Wenn jemand hier einbrechen würde, würde er mir wahrscheinlich aus Mitleid ein bisschen Geld für neue Möbel dalassen.

Heute

Heute habe ich ein bereits peinliches Maß an Nutzlosigkeit erreicht, es ist auch der Hauptgrund, warum ich diesen Text schreibe. Ich sitze auf meinem gebrauchten eBay Sessel und schaue eine Anime Serie über Feuerwehrmänner die Superkräfte haben. Sie löschen nicht brennende Häuser, sondern menschliche Flammen.

Ich habe mir vorgenommen, nach dieser Episode endlich aufzustehen und meine Wäsche zu machen. Sowohl meine Bettwäsche als auch meine Handtücher hätten eigentlich schon vorgestern gewaschen werden sollen. Naja, dann eben doch heute.

Die Folge ist vorbei. Ich überlege kurz, ob ich es schaffe mich aufzuraffen und die fünf Etagen zu der Waschmaschine runterzugehen, verwerfe aber den Gedanken schnell wieder. Noch eine Folge.

Ich habe Hunger, aber keine Energie zum Kochen. Ich esse also zwei Löffel Erdnussbutter aus dem Glas und mache die nächste Folge an.

Als ich zu Ende geschaut habe, kann ich zwar immer noch keine Motivation finden, erkenne aber die Notwendigkeit. Ich packe also all meine Wäsche zusammen und trage sie fünf Etagen hinunter. Als ich schon meine Wäsche in der Waschmaschine habe fällt mir auf, dass ich ja gar kein Waschmittel dabeihabe.

Zehn Etagen später (fünf rauf, fünf runter) stehe ich wieder vor der Waschmaschine. Ich besitze keine eigene, deswegen benutze ich die Münzenmaschine für alle. Nur leider funktioniert sie nicht. Sie nimmt zwar mein Geld, wäscht aber nicht im Gegenzug. Auch nicht, wenn ich frustriert davorhaue.

Verzweifelt versuche ich, ob die Maschine vielleicht doch funktioniert, wenn ich noch mehr Münzen einwerfe. Tut sie natürlich nicht. Ich nehme also meine Wäsche wieder aus der Maschine, und gehe resigniert die fünf Etagen hoch zu meiner Wohnung.

Ich mache mir klar, dass ich meine Serie unterbrochen habe, nur um 20 Etagen durchs Haus zu gehen und nebenher meiner Waschmaschine Geld zu schenken.

Es ist jetzt meinem Publikum, also sowohl meinen Augen, als auch meinem Gehirn und meinen Beinen jetzt hoffentlich klar, dass dessen Einsatz größtenteils verschwendet ist. Ich weiß ja nicht wer von euch auf die Idee mit dieser Apoptose gekommen ist, aber ihr seid bei mir auf jeden Fall etwas über das Ziel hinausgeschossen.

Quellen

[1] Reed, J. C. (1999). Dysregulation of Apoptosis in Cancer. Journal of Clinical Oncology, 17(9), 2941. https://doi.org/10.1200/jco.1999.17.9.2941

[2] Ren, Y., & Savill, J. (1998b). Apoptosis: The importance of being eaten. Cell Death & Differentiation, 5(7), 563–568. https://doi.org/10.1038/sj.cdd.4400407